Blockseminar am 13.01.2012 – Die Spiele

An diesem Freitag fand das abschließende Blockseminar von “Nach den Regeln der Kunst: Spiel als Medium” statt. Die Spielprojekte sollten dabei vorgestellt, probegespielt und konstruktiv bewertet werden; das Ausstellungskonzept im Rahmen von “What’s Next? Kunst nach der Krise” wurde grob angesprochen; und es wurde ein generelles Feedback zum Seminar gegeben.

Es gab eine erstaunliche Bandbreite an Spielen! Dies galt sowohl für die Quellen der Inspiration als auch für die Form der Umsetzung. Als Oberthema war ursprünglich, entsprechend dem Seminartitel, die Erstellung von Spielen als Medien der Spielhandlung gedacht, d.h. ‘Mediumdesign’ im Sinne der Eröffnung eines Möglichkeits- und Entscheidungsraums für Spieler.

Melanie: Drei minimalisierte Spiele, “Schwarzer Peter”, “Memory” und “Mikado” für 2-3 Spieler; ein Metaspiel.

Erstaunlich war hier z.B. die lange Spieldauer des minimalisierten “Schwarzen Peters” mit sieben Karten, die dem tatsächlichen Endspiel des Originalspiels ähnlich ist; sicherlich das ‘unverändertste’ der drei Minispiele. Das Mikado wirkt – mit zwei Zahnstochern als Mikadostäbchen – eher als Parodie des tatsächlichen Spielmechanismus. Das Memory fand ich unerwartet ansprechend (ob nun bewußt oder unbewußt von den Designentscheidungen her…): McDonalds-Gutscheine auf der Bildseite und glattgestrichene Klopapierpappe mit ‘Memory’ in Schreibschrift auf der Rückseite ergaben einen interessanten Kontrast. Spontan denke ich da an Upcycling, aber auch an Kritik an einer Gesellschaft, die auf identischen, wegwerfbaren Konsumgütern beruht. Das Metaspiel “Welches Spiel gehört nicht zu den anderen?” bricht den Zusammenhang noch einmal auf. Hier steckt meiner Ansicht nach mit Nacharbeit und Reflektion einiges an Potential drin.

Olga: Übergroßes, minimalisiertes “Uni”-Kartenspiel für zwei Spieler, inspiriert von “Uno

Die Karten fühlten sich dank der Graupappe tatsächlich an wie übergroße Spielkarten. Selbst das satte ‘Klack’, wenn sie auf den Boden aufgesetzt wurden, erinnerte an das leise ‘Klick’ der kleineren Version auf dem Tisch. Die Spieler mit den flipchartgroßen Karten hantieren zu sehen hatte etwas Surreales; Assoziationen zu “Alice im Wunderland” (‘DRINK ME’) entstanden. Das minimalisierte Uno-Spiel steckte, wenn die Original-Regeln angewendet wurden, in einer Schleife fest, ergab also keinen Gewinner sondern nur ein beständiges hin- und hertauschen bzw. -aufnehmen der immer selben Karten. Dadurch, dass Olga das Spiel selbst “Uni” genannt hatte, ergaben sich interessante Assoziationen zur Spielmechanik: Ein in Ewigkeit um sich selbst kreisender Vorgang; ein Gedankenaustausch, der nur so aussieht, wie einer, in Wirklichkeit aber immer die selben Gedanken nach den selben Regeln aufkocht; oder ein extrem unhandliches, wenn auch überschaubares Spiel ohne wirklichen Gewinner (oder wirkliche Verlierer?). Die Universität? Akademische Bildungseinrichtungen? Bildungsideale? Man kann von Dietrich Schwanitz’ Buch (1999) “Alles was man wissen muss” halten, was man will; aber er gibt interessante Beschreibungen der Bildung als ein relativ sinnloses Spiel, mit Erwartungen und Erwartungserwartungen als Regelgebilde:

“Bildung ist der Name eines sozialen Spiels, das durch erhöhte Erwartungen und Erwartungserwartungen in Bezug auf das kulturelle Wissen der Mitspieler gekenn­zeichnet ist; diese dürfen die Erwartungen und Erwartungserwartungen nicht thematisieren. Ihre Geschicklichkeit besteht darin, diese Erwartungen gleichzeitig zu erkun­den und zu erfüllen oder, wenn das nicht gelingt, es den anderen nicht merken zu las­sen.
Das Ergebnis ist, daß in der Bildung wie in der Liebe die Erwartungen unreali­stisch werden, weil sie nicht überprüft werden dürfen. Das tabuisiert bestimmte Fra­gen. Im Bildungsbereich muß man im Zweifelsfall unterstellen, daß man eine Sache wissen muß und sie deshalb nicht fragen darf.” (S.396)

Darja: “Schicksal”, ein strategisches Brettspiel für zwei Spieler, u.a. inspiriert von Brian Sutton-Smith (1978) “Die Dialektik des Spiels”.

In Sutton-Smiths dritten Kapitel (S.65-96) “Die Funktion des Spiels” wird das Spiel in Bezug zur gegebenen Wirklichkeit sowohl als affirmativ-imitierende Vorbereitung darauf als auch als innovativ-subversive Umformung durch die Spielerin darstellt. Schließlich kann die Rückübertragung in die bzw. die adaptive Umdeutung der Wirklichkeit erfolgen.
Der Spielplan hat mit vier Spielfeldern aus diesem Dreischritt (Wirklichkeit-Imitation-Adaption-Wirklichkeit) einen Viererschritt (ich interpretiere hier: gesellschaftliche Konformität – Imitation – Adaption – persönliche Umdeutung – gesellschaftliche Umdeutung) gemacht und eine ruhende, ‘sichere’ Mitte eingeführt, die theoretisch ihre Entsprechung sucht. Das Spiel selbst ist ein kurzweiliges Glücks-Strategiespiel, das anspruchsvoller erscheint, als die Regeln und die jeweils nur eine Spielfigur auf den ersten Blick vermuten lassen.


Ich war vor allem durch die doppelte Spiegelung der Spielfunktion/Wirklichkeitsfunktion angetan und werde Darjas “Schicksal” als Beispiel für eine interessante und inspirierende Zusammenführung von Spieltheorie, Mathematik und Spieldesign in Seminaren mit ähnlicher Thematik anführen!

Eike und Richard: Verschiedene Versionen eines vektorbasierten abstrakten Rennspiels für 2 bis beliebig viele Spieler, inspiriert von “Racetrack

Das vektorbasierte Pen-and-Paper-Spiel “Racetrack” ist bereits eine Empfehlung für den Mathematik- und Physik-Unterricht um Vektorrechnung und Begriffe wie Trägheit, Geschwindigkeit, Beschleunigung zu ‘erfahren’; das Bewegungsprinzip ist in Spielen wie “Triplanetary” wegen seines Realismus und seiner einfachen Handhabung gelobt worden.
Es ist eine interessante Idee, das Spiel in digitaler und analoger Form einmal für die ‘Erfahrung’ des virtuellen und urbanen Raums einzusetzen: Die Überlagerung eines (evtl.abstrahierten) Stadtplans mit einem Raster, um in Form eines zugbasierten Spiels durch abgebildete Straßen zu rasen; oder die Umdeutung des realen urbanen Raums (gepflasterte Marktplätze, Passagen, Gehwege) als Spielfeld für beliebig viele Spieler. Bei letzterem hat man den Konflikt zwischen den sich in Echtzeit bewegenden ahnungslosen Passanten – die ansonsten hervorragende Schikanen abgeben würden – und den zugbasierten Bewegungen der Spieler, die zur besseren Kenntlichkeit eventuell grell gefärbte Rennoutfits tragen würden. Vermutlich müsste ein Taktgeber mit einem Megaphon den Beginn des nächsten Zugs über die Köpfe der Menge hinweg verkünden. Eine interessante Vorstellung!
(Lesetipp: Theoretische Unterfütterung für die Durchdringung von Spiel und Wirklichkeit findet sich bei Markus Montola, Jaakko Stenros & Annika Waern (2009), “Pervasive Games. Experiences on the Boundary Between Life and Play.”)

Sandy: “Das Perfekte Gericht”, ein Brettspiel für 2-4 Spieler, inspiriert von “Malefiz

Sicherlich das gestalterisch am fortgeschrittenste Projekt, demonstriert Sandy mit dem “Perfekten Gericht”, wie durch Veränderung, Erweiterung und Kombination bekannter Spielmechaniken und den Einsatz einer neuen Spielnarration ein ansprechendes, ganz eigenständiges Spiel entstehen kann. Das Probespielen gab sehr anschaulich einen Einblick in die Endphase praktischen Spieldesigns, bei dem noch Ecken und Kinken im Spielmechanismus und im Material sichtbar werden. Ansonsten kann ich nur sagen: Hut ab; dran bleiben, etwas stromlinienförmiger gestalten und auf einem Spieleautorentreff vorstellen. Wie Darjas Spiel ist Sandys Spiel ein gutes Beispiel für aufbauendes Spieldesign, dass ich in zukünftigen Kursen gerne anführen würde.

   

Ich hatte noch die Assoziation, dass die Mechanik des Sammelns-Rennens-Blockierens theoretisch auch als Abbildung z.B. der Entstehung von Mainstream-‘Kunstwerken’ genutzt werden könnte – wenn es auch ein etwas zynischer Kommentar wäre. Statt der ‘Zutaten’ und ‘Menüs’ wären dies Materialien/Konzepte/Themen und gerade bevorzugte Stilrichtungen, die vom Kunstmarkt eingefordert würden…

Marie: Leider habe ich den Titel nicht mehr genau im Kopf – gab es einen? “Weltreise”, ein Brettspiel für zwei bis einer Menge Personen (ich vermute inspiriert von “Activity“)

Ein eindrucksvoll großer Spielplan der Welt inklusive der Antarktis führt die Spieler auf einer linearen Strecke durch die fünf Kontinente (+Antarktis). Verschiedene Farbfelder korrespondieren mit möglichen Aktionen der Spieler (Begriffe kneten, Tiergeräusche, Pantomine, landestypische Gerichte etc. etc.), die bei Erfolg einen Punkt bringen, Siegbedingung sind zehn Punkte. Besonders schön fand ich bei Maries Spiel, was es auch deutlich von Spielen wie “Activity” oder “Tabu” abgrenzt, dass die Antworten bzw. zu ratenden oder darzustellenden Begriffe nicht anhand eines Kärtchens vorgegeben waren, sondern sich nur auf den jeweiligen Kontinent (‘Erwachsenen’-Version: Landstriche oder Länder) beziehen mussten: Die Spieler generieren sich also ihre Aufgaben selbst innerhalb eines Themengebiets, und die Bewertung der Legitimität von Aufgabe und Frage ist der  Gruppe überlassen, die dies über bestehenden Wissensbestand, persönliche Autorität oder Recherche lösen (“Schlangen gibt es doch nicht nur in Australien?”): Ein guter Ansatz für ein moderat-konstruktivistisches Lernspiel! Prinzipiell würde die Spielmechanik sich für beliebige Themen eignen, z.B. Land-Stadt, Berufe, Kunst etc.

Ricarda: Leider konnte aus Zeitmangel aus dieser Idee kein Spielkonzept entstehen: “Kunst”, ein Spiel über die Entstehung von Kunst/Kunstwerken/Kunstmärkten

Ich war mit Ricarda im Workshop beim Brainstorming für ein Spielkonzept und fand die Idee, ein Spiel über die Bedingungen (und Bedingtheit) von Kunst faszinierend. Ricarda hat ihre Gedanken in diesem Blogartikel zusammen gefasst. Sehr schade – ich bin sicher, es wäre ein spannendes Spiel geworden! Ricarda, vielleicht gärt die Idee ja weiterhin – und irgendwann wird ein Konzept, eine Beschreibung, ein Aufsatz, ein Werk, ein Spiel daraus – dann bitte mailen, ich wäre gespannt, wie du diese Frage schließlich für dich beantwortest und wie du deine Leser/Betrachter/Schüler/Spieler an deine Antwort heran führst!

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Über Wey

My name's Wey-Han Tan, I graduated 2007 as Diplompädagoge (educational scientist) in Hamburg, and 2009 as M.A. in ePedagogy Design. Currently I work at the project "Universitätskolleg" as scientific assistant at the Faculty for Educational Sciences, Psychology and Human Movement at the University of Hamburg. My research interests are game based learning, second order gaming, media theory and (radical) constructivist approaches. I like pen-and-paper-roleplaying, especially in contemporary horror settings like "KULT" or "Call of Cthulhu".
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