“Schicksal” – strategisches Brettspiel für zwei Spieler
Die Regeln:
Das Spielbrett besteht aus 4 gleichgroßen Quadranten und einem “Mittelkreuz”.
Das Spiel beginnt im ersten dunkelbraunem Quadranten mit der römischen I. Die weiße und schwarze Kugel werden in die markierten Mulden gelegt. Die Spieler würfeln aus, wer Weiß sein darf (derjenige mit der höheren Augenzahl).
Der Spieler mit der weißen Kugel muss versuchen den Mittelpunkt des Spielbretts zu erreichen. Der Spieler mit der schwarzen Kugel versucht ihn daran zu hindern.
Es wird abwechselnd geworfen, Weiß fängt an. Man darf die gewürfelte Augenzahl in dem ersten Quadranten (einschließlich den beiden Kreuzarme) nach rechts, links, oben und unten gehen, aber nicht diagonal. Auch rückwärts gehen ist nicht erlaubt.
Schwarz kann Weiß rausschmeissen, aber nicht umgekehrt. Das Kreuz stellt für Weiß eine “Sicherheitszone” dar: Hier darf Weiß nicht rausgekickt, sondern nur von Schwarz blockiert werden.
Beim Gehen dürfen die Spieler sich nicht überspringen und auch der Mittelpunkt darf nicht übersprungen werden, sondern muss mit der passenden Augenzahl genau erreicht werden.
Der Würfel hat nur die Augenzahlen 1, 2, 2, 3, 3 und einen großen Kreis.
Der Kreis bedeutet “Wunder”. Würfelt einer der Spieler ein Wunder, so darf er sich die Anzahl der Schritte aussuchen, darf aber nicht mehr als 4 Schritte gehen.
Wenn der Spieler mit der weißen Kugel die Mitte erreicht hat, bekommt er zwei Goldstücke. Die Kugeln werden dann in die Ausgangsmulden gelegt und Weiß darf sein Glück erneut versuchen.
Wenn Weiß aber von Schwarz rausgeworfen wird, geht das Spiel im zweiten Quadranten weiter (hellbraun mit römisch II). Hier findet ein Rollenwechsel statt: Jetzt ist der Spieler mit der ursprünglich weißen Kugel Schwarz und der mit der schwarzen Weiß.
Der neue Spieler mit der weißen Kugel hat aber hier ein zweites Leben (römisch II). D.h. wenn er von Schwarz rausgekickt wird, hat er noch einen Versuch. Dafür bekommt er pro erreichtes Ziel nur ein Goldstück.
Sind die zwei Leben verbraucht, geht das Spiel im dritten Quadranten weiter. Hier findet wieder der Rollentausch statt und Weiß hat zwei Leben. Im vierten Quadranten gibt es wieder nur ein Leben (römisch I).
Sobald Weiß aus dem letzten Quadranten gekickt ist, ist das Spiel beendet und jeder Spieler zählt seine gesammelten Goldstücke. Der Spieler mit der höheren Anzahl gewinnt.
Das Spiel stellt eine Kombination aus einem Glücks- und Strategiespiel dar.
Für Weiß steht das Ziel von Anfang an fest, es muss die Mitte erreichen (es ist sein Schicksal). Welche Wege Weiß aber dabei geht und auf welche Hindernisse es stößt, wird von zahlreichen anderen Faktoren beeinflusst, mitunter dem Glück aufgrund des Werfens des Würfels.
Durch den Rollentausch in jedem Quadranten darf jeder Spieler auch die Gegenposition ausprobieren. Dabei hat jeder einmal nur ein Leben und einmal zwei Leben. Jeder hat also die gleichen Gewinnvoraussetzungen.
Glück, Schicksal und taktisch kluge Überlegungen entscheiden den Ausgang des Spiels.
Zum theoretischen Hintergrund des Spiels:
Der erste Quadrant stellt das die Realität dar, in der ein Missstand vorherrscht (dunkelbraunes Feld). Weiß versucht hier sein Ziel zu erreichen, hat aber nur ein Leben, es ist also besonders schwer hier zu bestehen. Dafür wird das Meistern mit zwei Golstücken belohnt.
Der zweite und dritte Quadrant stellen das Spiel dar. Hier gibt es daher zwei Leben, aber auch nur ein Goldstück für das Erreichen des Ziels. Weiß probiert im Spiel dabei beide Positionen aus: Die urprüngliche aus der Realität und die Gegnerposition (Schwarz).
Der vierte Quadrant (hellbraun) ist wieder die Realität, bzw. kann als Zukunftsvision aufgefasst werden. Weiß hat im Spiel beide Rollen durchlebt und erreicht im vierten Quadranten den gewünschten Status. Der Missstand in der Realität ist behoben.
Die Idee zum Spiel ist unter anderem angeregt durch Brian Sutton-Smiths “Die Dialektik des Spiels” (1978). Er schreibt:
“Spiele sind dazu da, Konflikte umformbar zu machen. Sie sozialisieren nicht nur, indem sie abbilden; sie sozialisieren durch Abbilden und Umkehren (mirroring and inverting). Sie sind sowohl radikal als auch konservativ.”
Wey-Han Tan formuliert zum theoretischen Hintergrund des Spiel:
“In Sutton-Smiths drittem Kapitel (S.65-96) “Die Funktion des Spiels” wird das Spiel in Bezug zur gegebenen Wirklichkeit sowohl als affirmativ-imitierende Vorbereitung darauf, als auch als innovativ-subversive Umformung durch die Spieler dargestellt. Schließlich kann die Rückübertragung in die bzw. die adaptive Umdeutung der Wirklichkeit erfolgen.
Der Spielplan hat mit vier Spielfeldern aus diesem Dreischritt (Wirklichkeit-Imitation-Adaption-Wirklichkeit) einen Viererschritt (ich interpretiere hier: gesellschaftliche Konformität – Imitation – Adaption – persönliche Umdeutung – gesellschaftliche Umdeutung) gemacht und eine ruhende, ‘sichere’ Mitte eingeführt, die theoretisch ihre Entsprechung sucht.”
Ich bin schwer beeindruckt von der Gestaltung!
Die Spielmechanik hat sich ja bereits im Probespiel als ansprechend und strategisch komplexer als erwartet heraus gestellt – die passende Haptik und Optik, die das Spiel wie ein traditionell überliefertes Artefakt aussehen lässt, harmoniert sehr gut mit der Spielidee.
In Gedanken möchte man am liebsten mit den Fingern über die Mulden des Spielbretts fahren (hattest du die Werkzeuge zu Hause? Es sieht nach einer Art Intarsienarbeit aus – wunderschön!), den Würfel würfeln (komplett selbstgemacht?!) oder die Kugeln verschieben. Und sind die Steine mit Blattgold überzogen?
Gerade in Zeiten digitaler Kopien erhalten handwerklich erstellte Spiele, als eine Manifestation interessanter Ideen, einen besonderen Stellenwert. Ich kann mir gut vorstellen, dass dein Schicksals-Spielbrett eines der – auf klassische Weise – ästhetisch ansprechendsten der Ausstellung (virtuell oder real) sein könnte…!
Lieber Wey,
danke für dein tolles Feedback!
Das Spiel habe ich in der Dingfabrik in Köln angefertigt! Die Leute dort haben mir gezeigt, wie man ein Programm schreibt, sodass die Fräsmaschine genau die gewünschten Wege fährt. Und ein Freund, der Maschinenbau studiert, hat mir geholfen 🙂
In den Würfel haben wir die benötigten Augenzahlen gefräst und die Ecken abgeschliffen. Die Goldstücke gab es so als Dekosteine für zuhause bei Knauber zu kaufen, aber das bleibt unter uns 😉
Liebe Grüße,
Darja
Pingback: Spiel als Medium « Dingfabrik Köln e.V.