Für das Alltagsverständnis für Medien am Nahe liegendsten erscheinen die Definitionen von “Massenmedien”, “Kommunikationsmittel” oder “künstlerische Medien”. Für ein besseres mediales Verständnis von “Spiel” und “Regelspielen” (games) eignen sich die Theorien von Marshal McLuhan und Niklas Luhmann recht gut, Gregory Bateson ist spezifisch für das Spiel interesssant (s. Text im Studienmaterial).
(In einer Zusammenfassung von Mediendefinitionen von Hartmut Winkler bewegen sich die drei Theoretiker unter 2. (symbolischer Charakter), 4. (Form und Inhalt) und 6. (Unsichtbarkeit), obwohl natürlich auch die anderen Punkte auf Spiele anwendbar sind.)
Jedes Medium lässt es nur auf bestimmte Art und Weise zu, was sich wie ausdrücken bzw. repräsentieren lässt. Medientheoretiker wie Niklas Luhmann gehen davon aus, dass diese Einschränkung eine Grundbedingung für die Funktion von Medien ist: Nur, wenn ein bestimmtes Vokabular über eine bestimmte Grammatik sinnvoll zusammen gesetzt wird, ist die entstehende Form als bedeutungsvoll in diesem Medium wahrnehmbar. Marshal McLuhan erweitert den Medienbegriff, als dass bereits das Medium selbst – nicht nur seine Formen – eine Botschaft übermittelt und dass diese Formen wiederum Medien sein können, um weitere Formen zu erschaffen.
Durch die Einschränkung auf bestimmte mögliche (Regelvorgaben) und möglichst sinnvolle Spielzüge (Strategie, ‘sinnvoller’ Spielverlauf) besitzt das einzelne Regelspiel die selben Eigenschaften wie z.B. das Medium Sprache, wobei die Form der jeweilige Spielverlauf wäre. Das Regelspiel selbst ist wiederum eine Form im Medium aller “Regelspiele”.
Ein Beispiel: Schach ist im Laufe der Jahrhunderte im Medium des Regelspiels zu seiner heutigen Form ausgebildet worden; diese Form ist relativ fix, wir nehmen die Schachregeln, die narrative Auskleidung der Figurenrollen (Springer, König, Turm etc.) üblicherweise nicht als veränderlich wahr. Was wir innerhalb der Form verändern können, ist der Verlauf einzelner Schachpartien: Spieler und Gegenspieler nutzen das Medium Schach für einen Dialog, bei dem sinnvolle wechselsseitige Züge aufeinander bezogene Sätze sind, und die Strategien die jeweilige Argumentation bzw. thematische Aussage. Die Spieler ‘sprechen’ beim Schach sozusagen ihr Spiel, genauso, wie dies auch Counter-Strike- oder Fußballspieler tun: Sie kommunizieren nach den klaren, vereinfachten Regeln ihres Mediums miteinander.
Marshall McLuhan:
1. Das Medium ist die Botschaft.
“The medium is the message.”
Spiele vermitteln nicht nur ‘lesbare’ Spielinhalte wie “Monopolbildung” bei Monopoly oder “Terroristen bzw. Kommandos besiegen” bei Counter-Strike, sondern auch die Art und Weise, wie (Regeln) und unter welchen medialen Bedingungen (technisch, kulturell) dies geschieht.
– Marshall McLuhan, “Understanding Media – The extensions of man” (1964), p.7
2. Jedes Medium beinhaltet ein weiteres Medium
“This fact, characteristic of all media, means that the “content” of any medium is always another medium.”
– Marshall McLuhan, “Understanding Media – The extensions of man” (1964), p.8
3. “Medium ist ein massenhaft vorhandenes, kombinatorisches Potential, das gelegentlich und im Gebrauch mit festen Kopplungen versehen wird und dadurch benutzbar wird.”
– Niklas Luhmann: Einführung in die Theorie der Gesellschaft. Hrsg. von Dirk Baecker (2005), p.94
4. ” “This is play” looks something like this: “These actions in which we now engage do not denote what those actions for which they stand would denote.”
– Gregory Bateson (2000): “A Theory of Play and Fantasy”, p.180
Zu diesem Medienverständnis noch ein Spielzitat von Jesper Juul:
«(…) it can seem that games contain a built-in contradiction: Since play is normally assumed to be a free-form activity devoid of constraints, it appears illogical that we would choose to limit our options by playing games with fixed rules. Why be limited when we can be free? The answer to this is basically that games provide context for actions (…)»
Jesper Juul (2005), “Half-Real. Video Games between Real Rules and Fictional Worlds”, p.18
Das bedeutet ganz praktisch: Ein bekanntes Spiel wie “Ja-Nein-Schwarz-Weiß” setzt das Prinzip des Spiels als neugeschaffenem Mediums sehr greifbar um. Die natürliche Sprache wird zum Spielfeld – d.h. zum neuen Medium – durch ihre Begrenzung des verwendbaren Vokabulars. Das unfreiwillige Verlassen des Mediums ist gleichbedeutend mit einer Niederlage, das Bestehen innerhalb der Grenzen wird zum Sieg. Das Spiel findet sich in einer dunkleren, unentrinnbaren Variante in George Orwells “Newspeak” aus dem Roman “1984”.
Wie andere Medien auch funktionieren Spiele erst durch ihre (geschickt vom Spieldesigner gesetzten) Begrenzungen.
Fragen:
- Wie “funktionieren” Medien?
- Welche (technischen) Medien kennt ihr?
- Funktionieren künstlerische Medien anders als Sprache oder Fernsehen? Ist hier die Grenzüberschreitung (z.B. bei Duchamp) gerade gewollt? Und warum wird nicht jede Grenzüberschreitung zur Avantgarde?
- Mit welchen Medien arbeitet ihr gerne (Textil, Photographie, Ölfarben, Ton etc.)? Und warum mit genau diesen Medien?
- Wie hängen die Freiheit des Ausdrucks und die Sicherung der zu übermittelten Botschaft zusammen? Was erwartet ihr von einem ‘funktionierendem’ Medium?
- Auf welche Weise ist Spiel ein Medium und fügt sich in die Theorien von Mcluhan und Luhmann ein?
Schlagworte:
Medium und Form, lose und feste Kopplung, Spielregeln, Genres, Mikromedium, Möglichkeitsraum
Texte:
- Marshall McLuhan (1964): “Understanding Media – The extensions of man.” S. 7-21
McGraw-Hill, New York/Toronto/London, 1964
(Text im Studienpaket enthalten) - Niklas Luhmann: Einführung in die Theorie der Gesellschaft. Hrsg. von Dirk Baecker (2005), S. 96 – 98
(Text im Studienpaket enthalten) - Scott McCloud (1993): “Understanding Comics”, S. 2 – 3 u. 20 – 23
(Text im Studienpaket enthalten) - Bateson, Gregory: “A Theory of Play and Fantasy.” In Gregory Bateson (2000): Steps to an Ecology of Mind, Chicago and London: The University of Chicago
Press, 177-193.
(Text im Studienpaket enthalten)
Links:
TV-Tropes Wiki – TV-Tropes Wiki will ruin your Life – Eine sehr unterhaltsame, sehr umfangreiche Zusammenstellung medialer Tropen für Anime, TV, Videogames, Theater etc.