Was ist “Spiel”?
Eine Definition von “Spiel” kann weder umfassend noch eindeutig oder objektiv beantwortet werden – was nicht heißen soll, dass sie nicht beantwortet werden kann oder sollte. Die Frage “Was ist Spiel?” gehört zur Kategorie der prinzipiell unentscheidbaren Fragen (Heinz von Foerster), die individuell entschieden werden (müssen), und manchmal mehr über die jeweiligen Antwortenden, ihre Kultur oder ihren individuellen Blickwinkel aussagen können, als über den Sachverhalt selbst.
“Spiel” ist bis heute ein Begriff im Fluß, dessen Bedeutung weiter ausgehandelt wird.
Wie nähern sich Forscher dem Problem?
‘Klassische’ Spieltheorien versuchen prinzipiell drei Fragen zu beantworten:
- Woran erkennt man Spiel/Spiele/Spieler?
- Warum spielt man?
- Welche Arten von Spiel/Spielen/Spielern gibt es?
Die Antworten können separat erfolgen, implizit die anderen Fragen mit einschließen oder zusammen ein integriertes Theoriegebäude ergeben.
Die Forscher werden außerdem eine Verknüpfung der Antworten mit ihrem üblichen Forschungsgegenstand herzustellen versuchen, (z.B. Didaktik, Entwicklungspsychologie, Soziologie, Mathematik, Wirtschaft, Militär, Computerspiele, Spieldesign, Literaturwissenschaft, Kunst etc.), sich auf verwandte Ideengebäude anderer Forscher stützen bzw. diese zu diesem Zweck interpretieren.
Spieltheoretische Ansätze können “Spiel” so auch als nicht-eigenständiges, bedingtes Phänomen ansehen (z.B. der späte Piaget für kognitive Entwicklung) oder es als Metapher für eine bestimmte Art des menschlichen Handelns interpretieren (z.B. von Neumann für zweckrationales Handeln).
Struktur des Spiels, Form des Spiels – was macht Spiel aus, woran erkennt man es?
- Johan Huizinga (1938): “Homo Ludens.” S.15-22 (Niederländischer Kulturhistoriker)
Freies Handeln; außerhalb des “gewöhnlichen” Lebens stehend; zeitlich-räumlich abgeschlossen und begrenzt; wiederholbar; spannend; regelhaft - Mathematische Spieltheorie nach z.B. John von (János) Neumann (1944) (Österreichisch-Ungarischer Mathematiker):
Rationale Entscheidungen, wissen um gegenseitige Beeinflussung, mehrere Beteiligte, Belohnung; oder PAPI: Players, actions, payoffs, information - Roger Caillois (1958): “Man, Play and Games.” S.9-10 (Französischer Soziologe und Philosoph)
Free, separate, uncertain, unproductive, governed by rules, make-believe - Hans Scheuerl (1975): “Zur Begriffsbestimmung von Spiel und Spielen.” S.342-343 (Deutscher Erziehungswissenschaftler)
Freiheit, innere Unendlichkeit, Scheinhaftigkeit, Ambivalenz, Geschlossenheit, Gegenwärtigkeit - Brian Sutton-Smith (1978): “Die Dialektik des Spiels” (S.43-64)(Neuseelandstämmiger Spieltheoretiker)
Intrinsisch motiviert, abstrakt und variierend (zwei Schwestern spielen “zwei Mädchen, die Schwestern sind”), umkehrend, belebend und euphorisierend, dialektisch. - Chris Crawford (1982): “The Art of Game Design.” S.8-14 (US-Amerikanischer Computerspieleentwickler)
Representation, interaction, conflict, safety - Markus Montola et al (2009): “Pervasive Games. Theory and Design.” (Finnischer Spielforscher)
Als Erweiterung klassischer Ansätze: Spiel kann jenseits zeitlicher, räumlicher und sozialer Grenzen stattfinden.
Funktion des Spiels – warum spielt man?
- Friedrich Schiller (1795): “Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen, in einer Reihe von Briefen.” 14. Brief (Deutscher Dichter und Philosoph)
Der Spieltrieb dient der Vermittlung zwischen sinnlichen Trieb und Formtrieb, zwischen Veränderung und Ewigkeit, zwischen dem Empfangen und dem Hervorbringen eines Objekts - Gregory Bateson (1972): “Eine Theorie des Spiels und der Phantasie.” in ders. “Ökologie des Geistes.” S.244-245 (US-Amerikanischer Philosoph, Anthropologe und Kybernetiker)
Spiel entwickelt die Unterscheidungsfähigkeit zwischen Abbildung und Realität, zwischen aktuellen Handlungen und deren Bezeichnungen, die nicht bezeichnen, was jene Handlungen üblicherweise bezeichnen.
(Spiel bereitet somit auf den Umgang mit Medien vor!)
- Brian Sutton-Smith (1978): “Die Dialektik des Spiels” (S.65-102)(Neuseelandstämmiger Spieltheoretiker)
Spiel sorgt u.a. für eine Umkehrung und damit Verständnis von Machtbeziehungen, ebenfalls für ein Verständnis komplexer Beziehungen über Abtsraktion und Variation und bereitet über eine Erweiterung des adaptiven Verhaltenspotenzials auf zukünftige, unvorhersehbare Veränderungen der Umwelt vor. - Rolf Oerter (1993): “Psychologie des Spiels”, S.211 ff. (Orig. Deutsch)
Adaptive Funktion, Realitätsbewältigung durch Austausch, Aneignung, Bewältigung, Protest; Spiel entwickelt und bereitet auf zukünftige erwartbare Probleme vor. - Jean Piaget in Donald E. Lytle (2003): “Play and educational theory and practice.” S.101-105
Spiel ist eine Reflektion bzw. ein Indikator zu erwerbender kognitiver Fähigkeiten, z.B. Entwicklung der Symbolfunktion, Moral, Regelbewußtsein, hat aber aufgrund der Einbettung in bestimmte Entwicklungsstadien keine bleibende übergeordnete Funktionalität (wird gerne zitiert, um die altersbedingten Möglichkeiten von Kindern im (Lern)Spiel zu belegen).
- Jean Piaget in Rolf Oerter (1993): “Psychologie des Spiels” , S.178 f.
Zuerst Funktionslust (sensomotorisch) bzw. später beim Symbolspiel ist Spiel “überbordende Assimilation”, d.h. der Spieler ‘eignet sich die Welt an’, formt sie in ihrer Bedeutung so um, dass sie seinem Ich unterwerfbar wird; es ist eine Verteidigung gegen die erzwungene Akkomodation der Erwachsenenwelt.
Klassifikation, Typologie bzw. Taxonomie des Spiels – welche Arten des Spiels oder der Spieler gibt es, wie wird gespielt?
- Roger Caillois (1958): “Man, Play and Games.” S.11-36 (Französischer Soziologe und Philosoph)
Illinx (Taumel), Mimikry (Maskierung), Alea (Zufall), Agon (Wettkampf);
Paidia (freies, ‘turbulentes’ Spiel) und Ludus (geregeltes Spiel) - Hans Scheuerl (1975): “Zur Begriffsbestimmung von Spiel und Spielen.” S.346 (Deutscher Erziehungswissenschaftler)
Spieltätigkeit (Handlung), Spielablauf (konkretes Spiel), Regelgebilde (Objektivationen), spielerische Tätigkeit
- Rolf Oerter (1993): “Psychologie des Spiels” S.93-102 (Deutscher Entwicklungspsychologe)
Sensomotorisches Spiel, Symbolspiel, Parallelspiel, Rollenspiel, Regelspiel - Richard Bartle (1996): “Hearts, Clubs, Diamonds, Spades. Players who suit MUDs.” (Britischer Spieleentwickler (MultiUserDungeon) und Computerforscher)
Spielertypologie in einem Multiplayer-Online-Game:
Achievers (reaching a specific goal, levelling); Explorers (exploring all localities, mechanics, possibilities of the game); Socialisers (empathising, sympathising, grouping, connecting); Impositiors (mastering others, killing, destroying) - Claus Pias (2002): “Computerspiele im Prüfstand” (Deutscher Medienwissenschaftler und Medienphilosoph):
Action (reagieren, zeitkritisch), Adventure (entscheiden, entscheidungskritisch), Strategie (planen, konfigurationskritisch)