Würde man jedes Phänomen als Einzelerscheinung wahrnehmen, dann wäre das Leben (als Unterscheiden, Abwägen, Handeln) sehr mühsam: Schach, World of Warcraft Online, Bauklötzchen und Fußball fallen zwar alle unter die Kategorie ‘Spiel’, die Tätigkeit unter ‘spielen’, die Handelnden unter ‘Spieler’, aber um bestimmte Facetten zu beleuchten ist eine Binnenunterscheidung nötig.
Wie bei jedem Werkzeug gibt es für bestimmte Verwendungszwecke darauf abgestimmte Differenzierungsmethoden: Das reicht von sehr persönlichen bzw. subjektiven Ordnungen – die leider häufig in die politische Diskussion einfliessen, wie die zwischen “Killerspielen” und “pädagogisch wertvollen Spielen” – bis hin zu komplexen Kombinationen möglichst objektiv beobachtbarer Eigenschaften, beispielsweise
- bei Jean Piaget über entwicklungsstufenspezifisch beherrschte kognitive Funktionen (Spielarten; Indikator für kognitive Entwicklung des Kindes),
- bei Roger Caillois über Selbstwahrnehmung und Handlungsmöglichkeiten der Spieler (Spielarten; Erfassen aller möglichen Spielphänomene),
- bei Brian Sutton-Smith über konservativ-einübende (intrinsisch) und autonom-erweiternde (extrinsisch) Spiele (Spielfunktionen; dialektische Aufschlüsselung),
- bei Richard A. Bartle über tatsächliches Verhalten im Spiel (Spielertypen; Erklärung für die Interaktionen in einem Online-Multiuser-Rollenspiel),
- bei Claus Pias über objektiv-abstrakte Kompetenzen (Computerspielarten; Etablierung einer Gegenposition zur vorherrschenden Unterscheidung über Bilder und Narrationen).
Eine Kategorisierung ähnelt insofern Theorien oder Methoden, als dass sich ihre Brauchbarkeit am jeweiligen Verwendungszweck messen lassen kann. Heute übliche Kategorisierungen von Computerspielen richten sich gerne nach den marktüblichen Genres und den ‘sichtbaren’ Rahmenerzählungen , deren Bildern bzw. abgebildeten Handlungen.
Problematisch wird eine Kategorisierung bei digital-vernetzten Spielen, bei emergent gameplay (in Sandbox-Games), bei pervasive Games und Spielen Zweiter Ordnung, weil hier Umdeutungen, Grenzverletzungen und Grenzüberschreitungen zum Design- und Spielprinzip geworden sind. Klassische mediale Kategorisierungsmethoden wie das ‘vollständige Durchspielen’ wirken hier etwa hilflos.
Kategorisierungsvorschlag für Pädagogen
Pädagogen benötigen z.B. eine Möglichkeit, neben den narrativen (warum handelt man?) auch die regulativen (wie handelt man?) Aspekte von (Computer-)Spielen erfassen zu können. Möglichkeiten von Kategorisierungen dieser Art könnten z.B. über die Positionierung über lerntheoretische Vorgaben erfolgen:
- Welche Spiele erfordern und unterstützen reine Reiz-Reaktions-Verhalten bzw. reines Drill & Practice (Quiz, Actiongames);
- welche logisch-sequenzielles Vorgehen (Adventures, gerichtete Hypertexte, einfache Aufbauspiele);
- welche systemisch-vernetztes Denken (komplexe Aufbau- und Strategiespiele, soziale Simulationen, Microwelten);
- welche kommunikativ-soziale Kompetenzen (kollaborative Netzwerkspiele);
- und welche metaspielerische Reflektion (atypische Spiele wie Frascas “September 12th”, LeDonnes “Super Columbine Massacre RPG”, Costikyans “Violence”, Shirts “Starpower”, die Produkte von Molleindustria oder Wiemkens “Breaking the Rules”)?
Texte & Aufgaben
- Roger Caillois (1958): Man, Play and Games.
Pages 14-26: “1. Fundamental Categories” - Bartle, Richard A. (2003). Hearts, Clubs, Diamonds, Spades: Players Who Suit MUDs.
zu lesender Abschnitt: “A Simple Taxonomy” - Pias, Claus (2002): Computerspiele im Prüfstand.
Auszug - Optional, da ich den Quelltext (Piaget “Nachahmung, Spiel und Traum”) nicht digital habe und dieser auch relativ komplex ist:
Dorothy G. Singer, Tracey A . Revenson (1978): “A Piaget Primer: How A Child Thinks”
Pages 41-56, Chapter 4
Welche Kategorien wären noch denkbar, die interessierten Pädagogen neue Werkzeuge in die Hand geben?